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Haskala Nr.1:
"Gedenken" - Die Schoa im jüdischen Religionsunterricht

175 Jahre:
Gymnasium Kreuzgasse

Nurith Schönfeld-Amar

Die Bedeutung, seine Traditionen und die Einbindung des Jüdischen Religionsunterrichts im allgemeinen Schulunterricht in Köln soll anlässlich des 175-jährigen Bestehens des Gymnasium Kreuzgasse durch einen in der Festschrift der Schule veröffentlichten Artikel, deutlich gemacht werden.
Der Bruch, der durch den Nationalsozialismus entstand, ist bis heute nicht überwunden, und die Schülerzahlen vor dem Krieg werden noch lange nicht erreicht sein.

Das Fach Jüdische Religionslehre am Gymnasium Kreuzgasse – seine Schüler und Lehrer von den Anfängen bis zur Gegenwart Mit dem Beginn des 19. Jhs. war es Juden wieder erlaubt, innerhalb der Mauern Kölns zu wohnen. Sie erlangten die Bürgerrechte, und damit änderte sich auch die Vorstellung über eine jüdische Erziehung. Bis zum Ende des 18. Jhs. bestand die Bildung der jüdischen Jugend größtenteils aus dem Studium der hebräischen Bibel und des Talmuds. Meist wurde nur das Lesen und Schreiben hebräischer Buchstaben gelehrt. Die profane Bildung erstreckte sich oftmals nur auf berufsbezogenes Wissen, wie z.B. Rechnen für den Kaufmannsberuf.

Mit Erlangung der Emanzipation strebten viele nach einer baldigen Integration in die bürgerliche Gesellschaft, und viele Eltern wünschten sich nun, dass ihre Kinder mehr Bildung in profanen Fächern erhielten. Somit wurde es von den Juden sehr begrüßt, als ihnen die Erlaubnis erteilt wurde, dass ihre Kinder von nun an auch öffentliche Schulen besuchen durften. 1828 wurde die erste städtische höhere Schule Kölns gegründet, das spätere Gymnasium und Realgymnasium in der Kreuzgasse. Der erste Standort der Schule war in St. Alban, in einem Stadtteil, in dem viele jüdische Bürger wohnten. Schon von den Anfängen an wurde die Schule verstärkt von

jüdischen Jungen besucht. Der erste jüdische Schüler der Schule, der damals zehnjährige Philipp Wolff, wohnhaft an Klein St. Martin 3, wurde am 27.10.1828 angemeldet und als Nr. 4 in das große Schüleralbum der Schule eingetragen.1 Er hat jedoch vor seinem Schulabschluss die Schule wieder verlassen. Der erste Abiturient jüdischen Glaubens war 1836 Moses Heimann Bier aus Deutz. In den folgenden Jahren verließen mehrere jüdische Jungen mit dem Abiturzeugnis die Schule, u.a. auch Kinder aus der Bankiersfamilie Oppenheim. Zu den ersten Schülern der Schule gehörten auch der spätere Musikhändler Michael Schloß, der Sohn des Privatlehrers und Lotterieeinnehmers Josua Schloß. Dieser war der erste von der Regierung Köln angestellte jüdische Lehrer. Er war ein Freund Heinrich Heines und ein guter Bekannter Felix Mendelssohn Bartholdys. In der Regel waren die jüdischen Schüler Kaufmannssöhne. So gaben bei

der Anmeldung viele bei der Berufsbezeichnung des Vaters 'Kaufmann' an (z.B.: Pferdehändler, Kohlenhändler, Band-, Kleider-, Leder-, oder Fruchthändler). Es sind jedoch auch unter den Anmeldungen Einträge zu finden wie: Handschuhfabrikant, Bergwerksbesitzer, Zuckerraffinadeur, Eau de Cologne Fabrikant oder Arzt. Söhne von Handwerkern gab es auch, jedoch in kleinerer Zahl (z.B.: Metzger, Goldschmied oder Uhrmacher). Dass nicht nur viele jüdische Kaufleute ihre Söhne an die höhere Bürgerschule schickten, anstatt an ein humanistisches Gymnasium, lag an der zielgerichteten Ausbildung zum Handelsgewerbe. In einer damals erschienen Aufsatzreihe in der "Kölnischen Zeitung" wurde betont, dass diese höhere Bürgerschule die erste ihrer Art sei.2 So konzentrierte sie sich auf den Mathematik- Physikunterricht wie auf Sprachen. Neben Deutsch wurden Französisch und Englisch unterrichtet, später auch Italienisch, welches bald vom Spanischunterricht abgelöst wurde, weil Eltern aufgrund geschäftlicher Beziehungen zu Südamerika Spanisch für wichtiger hielten als Italienisch.3 Die jüdischen Schüler machten in den dreißiger Jahren des 19. Jh. 4-6 % der Gesamtschülerzahl aus. 1850/51 stieg die Zahl auf 23 Schüler (9 %), 1857 sogar bis zu 55 Schüler (14 %) an. Bei den steigenden jüdischen Schülerzahlen an staatlichen und städtischen Schulen wurde es Mitte des 19. Jhs. notwendig, auch einen Jüdischen Religionsunterricht als verpflichtend einzurichten. Am 23.7.1847 wird das preußische Judengesetz erlassen, das besagt: "Eine jede Synagogen-Gemeinde ist [...] verbunden, solche Einrichtungen zu treffen, daß es keinem jüdischen Kinde während des schulpflichtigen Alters an dem erforderlichen Religionsunterricht fehlt."4

Dieser Forderung konnte auf zwei verschiedenen Wegen Rechnung getragen werden: durch Religionsschulen der Synagogen-Gemeinden (Nachmittagsunterricht) oder durch Jüdischen Religionsunterricht an den staatlichen und städtischen Schulen. Am 18.2.1858 führte die damalige höhere Bürgerschule, das heutige Gymnasium Kreuzgasse, als erste Schule in Köln Jüdische Religionslehre ein. Der von Rabbiner Dr. Schwarz erteilte Religionsunterricht war für die damals 50 jüdischen Schüler der Kreuzgasse verpflichtend. 3 Ab 1875 bis 1906 unterrichteten dann die Gemeinderabbiner Dr. Abraham Frank und Dr. Adolf Kober an der Kreuzgasse. Als Rabbiner Dr. Kober 1908 aufhörte zu unterrichten, setzte Rabbiner Dr. Isidor Caro bis 1933 den Unterricht fort. Die Einführung des Jüdischen Religionsunterrichts an städtischen Schulen wurde im 19. Jh. der Synagogen-Gemeinde jedoch in der Regel nicht leicht gemacht, was u.a. bedeutete, dass bis zur Weimarer Reichsverfassung dieser Unterricht im Gegensatz zum christlichen fakultativ blieb. Erst im April 1926 mit dem Artikel 149 der Weimarer Reichsverfassung hieß es: "Der Religionsunterricht wird in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechtes des Staates erteilt."6 Am 25. 11.1926 wurde ein ministerieller Erlass herausgegeben, der Bestimmungen zur Reifeprüfung im Fach Jüdische Religionslehre für höhere Schulen formulierte. Am 1.3.1928 wurden ca. 520 jüdische Schüler und Schülerinnen an öffentlichen und privaten Schulen der Stadt gezählt. Religionsunterricht wurde außer am Gymnasium Kreuzgasse zu dieser Zeit z.B. am Schiller Gymnasium, an der Königin - Luise - Schule, der Oberrealschule am Hansaring, in der Humboldtstrasse, wie auch in Lindenthal angeboten und noch an vielen anderen Schulen. 7 1928 waren von den 800 Schülern der Kreuzgasse ca. 100 jüdischen Glaubens. Zu dieser Zeit wurde der Jüdische Religionsunterricht nicht nur von Rabbiner Caro, sondern auch von Dr. Lazar Dünner an der Kreuzgasse erteilt. Er war der zweite Rabbiner der Synagoge in der Glockengasse, an deren Stelle heute das Kölner Opernhaus steht. Für den Unterricht ging Rabbiner Dünner die kurze Strecke von der Glockengasse zur damals nahegelegenen Kreuzgasse zu Fuß herüber. Direkt vom Morgen-

gottesdienst kommend, trug er oftmals noch Zylinder und weiße Krawatte im Unterricht.8 Zum Jubiläumsjahr der Kreuzgasse im Jahre 1928 bildeten sich Arbeitsausschüsse, um die damalige Festschrift, wie auch andere Aktivitäten, zu gestalten. Von jüdischer Seite gab es nicht nur Unterstützung "durch die Synagogen- Gemeinde als gleichberechtigte konfessionelle Institution, sondern auch durch Einzelpersönlichkeiten, die, mit Entwicklung und Existenz der Schule vertraut und verbunden, inzwischen im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt an sichtbarer Stelle Funktionen ausübten." 9 Engagierte Privatpersonen waren u.a. der jüdische Redakteur bei der "Rheinischen Zeitung" Georg Beyer, der deutsch-demokratische Politiker Justizrat Bernhard Falk oder Rechtsanwalt Dr. Oskar Eliel, damaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Leonhard-Tietz- AG.10 Ernst G. Lowenthal, der zum Abiturjahrgang 1923 gehörte, studierte zu dieser Zeit an der Universität zu Köln und war journalistisch tätig, u.a. für die jüdische Presse. Er verfasste zum Anlass des 100-jährigen Bestehens seiner ehemaligen Schule einen Artikel über die Geschichte der ersten jüdischen "Kreuzgässer" und verbrachte zum Zweck der Recherche im Winter 1927/1928 viele Stunden im damaligen Schularchiv in der Kreuzgasse 2-4. Ihm ist zu verdanken, dass heute zum 175jährigen Bestehen der Kreuzgasse noch so viele Informationen über die jüdischen Schüler der frühen Jahre der Schule erhalten sind.


Fotos: Archiv SGK

Anfang des Jahres 1933 betrug die Zahl jüdischer Schüler an städtischen Schulen ca. 420, am Ende des Jahres dann nur noch 320. Ab Frühjahr 1936 gab es keinen jüdischen Religionsunterricht mehr an den höheren und mittleren Schulen der Stadt Köln.11 Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurde durch einen Ministerialerlass der Ausschluss aller jüdischen Schüler aus allen städtischen Schulen mit sofortiger Wirkung angeordnet. Von da an konnten sie nur noch an jüdischen Schulen Unterricht erhalten, wie z.B. an der Jawne (Gymnasium) in der St. Apernstrasse oder an der damaligen Jüdischen Volksschule in der Lützowstrasse. 12 Im Jahre 1947 betrug die Anzahl der jüdischen schulpflichtigen Kinder 4, im Jahre 1948 dann 8 und 1951 schon 18. Im Jahre 1952 wurde Ernst Simons gebeten, den Kindern Unterricht zu erteilen. Sein Vater war vor dem Krieg Rabbiner in Köln gewesen. Dieser und ein Großteil seiner Familie wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Ernst Simons - Abiturjahrgang 1937 - besuchte ein Lehrerseminar in Holland und überlebte nur knapp das Konzentrationslager Bergen-Belsen.

1954 wurde der Jüdische Religionsunterricht wieder als obligatorisch erklärt und Ernst Simons als Religionslehrer von der Stadt Köln angestellt.13 Der von der Bezirksregierung vorgegebene Lehrplan zum Fach wurde vom Rabbiner Dr. Holzer ausgearbeitet. Ernst Simons unterrichtete in den folgenden Jahren an der Kreuzgasse Jüdische Religionslehre bis zum Jahre 1962. Außerdem unterrichtete er zu dieser Zeit auch an anderen Schulen das Fach. Obwohl Jüdische Religionslehre auch als Abiturfach bei ihm gewählt werden konnte, hat kein Schüler der Kreuzgasse in diesen Jahren seine Abiturprüfungen in Jüdische Religionslehre abgelegt.14 Simons wurde Direktor einer Realschule, später Regierungsschuldirektor in Köln. Außerdem baute er die Synagogen- Gemeinde in Köln mit auf und ist bis heute mit 83 Jahren eines der wichtigsten aktiven Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Heute trägt seine ehemalige Realschule am Alten Militärring seinen Namen, die Ernst-Simons-Realschule.15


Foto: Archiv SGK

1959 gab es 98 jüdische Schulkinder in Köln, worunter 6 an der Kreuzgasse Religionsunterricht erhielten. Ein Stundenplan aus dem Jahre 1960 zeigt auf, dass die Schüler von Herrn Simons jeden Donnerstag und Freitag von 7:45 bis 8:30 Uhr an der Kreuzgasse unterrichtet wurden. U.a. war einer der damaligen Schüler Benzion Wieber, der heutige Geschäftsführer der Synagogen- Gemeinde Köln. Heute besuchen zwei seiner Kinder die Kreuzgasse. Als Herr Simons seine Lehrtätigkeit 1962 als Religionslehrer beendete, gab es viele Jahre lang keinen Jüdischen Religionsunterricht an der Kreuzgasse mehr. In den kommenden Jahrzehnten beschränkte sich der Religionsunterricht auf Nachmittagskurse, die meist in der Synagogen-Gemeinde Köln in der Roonstrasse stattfanden.

1991 wurde Frau Margarita Ahren von der Kölner Bezirksregierung und der Synagogen-Gemeinde als Lehrerin eingesetzt und dem Gymnasium Kreuzgasse zugewiesen. Seitdem ist Frau Ahren Lehrerin der Kreuzgasse, jedoch unterrichtete sie nie im Hause selbst. Ihre Unterrichtsstunden finden in den Räumen der Synagoge statt und sind ausschließlich Zentralkurse bis zur Jahrgangsstufe 11, in denen sich Schüler aus vielen Gymnasien Kölns zusammenfinden.
Seit Februar 1999 bin ich ebenfalls dem Gymnasium Kreuzgasse als Lehrerin für die Klassen 5 bis 13 zugewiesen und unterrichte auch in der Schule selbst.16 Außerdem gebe ich Unterricht am Gymnasium Genovevastrasse in Köln Mülheim, an der Königin-Luise-Schule und Zentralkurse in den Räumen der Synagogen-Gemeinde in der Roonstrasse. Ich habe von der Bezirksregierung Köln die Genehmigung erhalten, auch Oberstufenkurse zu leiten und Abiturprüfungen abzunehmen. So haben letztes Jahr an zwei Schulen in Köln — erstmals nach vielen Jahrzehnten — fünf Schülerinnen im Fach Jüdische Religionslehre ihre mündliche Abiturprüfung bei mir ablegen können. 17

In ganz Köln gibt es z.Z. 420 schulpflichtige jüdische Kinder, von denen 108 den angebotenen Jüdischen Religionsunterricht besuchen. Heute im Jahre 2003 besuchen 11 Schüler der Kreuzgasse den Jüdischen Religionsunterricht, sowohl im Hause als auch im Zentralkurs in der Roonstrasse. An der Kreuzgasse gibt es zwar mehr als elf jüdische Schüler und Schülerinnen, jedoch nicht jeder entscheidet sich für dieses Wahlfach. Zwei der "Kreuzgässer" besuchen z.Z. bei mir den Zentralkurs der Jahrgangsstufe 12 und haben das Fach Jüdische Religionslehre als Abiturfach gewählt. Sie verfassten ihre Facharbeiten zu den Themen "Der Garten Eden in den jüdischen Quellen" und "Maimonides: Jüdischer Religionsphilosoph im Mittelalter". Im nächsten Jahr - Abiturjahrgang 2004 — werden diese beiden die ersten "Kreuzgässer" nach dem 2. Weltkrieg sein, die ihre Abiturprüfung im Fach Jüdische Religionslehre ablegen werden.

1Ernst G. Lowenthal: Jüdische "Höhere Bürgerschule" in Köln; Eine Skizze aus den Jahren 1828 bis 1858. In: Festschrift Germania Judaica 1959-1984. Hrsg.: J. Bohnke-Kollwitz, W. P. Eckert u.a.. Verlag J.P. Bachem (Köln) 1984, S.162 2Festschrift des Gymnasiums Kreuzgasse 1928, S. 9 3ebenda: S.12 4Zitat aus: Rabbiner Dr. Kober: Der Religionsunterricht der Synagogen-Gemeinde Köln. In: Jahrbuch der Synagogen- Gemeinde Köln 1934. S. 42 5ebenda, S.43 6Zitat aus: ebenda 7eine genau Liste der Schulen und die Anzahl der jüd. Schulkinder im Jahre 1959 siehe ebenda, S. 426f 8Ernst G. Lowenthal: Eine Barmizwa in Köln vor 70 Jahren. In: Jüdische Allgemeine Zeitung Nr. 42/52-53. 25.12.1987/1.1.1988; S.13, Fußnote 1 9E. Lowenthal: Jüdische "Höhere Bürgerschule" in Köln. S. 159 10ebenda 11siehe: Dr. Zwi Asaria: Das Schulwesen. In: Die Juden in Köln; von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Köln 1959, S.183 12"Jüdische Schicksale in Köln 1918-1945". Katalog zur Ausstellung des historischen Archivs der Stadt Köln NSDokumentationszentrum. 1989, S.208 13siehe ebenda, S. 423 14Interview mit Herrn Simons am 10.3.2003 in der Synagogen- Gemeinde Köln in der Roonstrasse. 15 vgl. Artikel: H. W. Jürgensonn: "Warum spüren Sie keinen Hass, Herr Simons?" in: EXPRESS, 14.3.2003, S.3 16Nurith Schönfeld-Amar, 1971 in Köln geboren; Abitur am Schiller Gymnasium; Studium der Judaistik und Pädagogik in Heidelberg, Ramat Gan / Israel und Köln. 17Die Schülerinnen gehörten dem Gymnasium Genovevastrasse und der Königin —Luisen-Schule an und haben an diesen Schulen auch die Prüfung abgelegt.

 

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