Was soll man tun?
Lernen
und Lernen - fördern und stützen!
Dr.
Barbara Breidenbach (2/4)
In der jüdischen
Tradition gilt es sieben verschiedene Formen des Lernens zu unterscheiden :
- das Lernen aus Büchern;
- das Lernen auf der Grundlage des
Unterrichts durch den Lehrenden;
- das Lernen durch Bewegen der Lippen,
durch lautes Wiederholen;
- das Lernen durch Einsicht; durch
Einsicht des Herzens (Das Herz wird hier als Sitz der höheren
Geisteskräfte angesehen.). Diese Lernform entspricht dem, in moderner
Sprache ausgedrückt, "judiziösen" d.h. einsichtigen Lernen.
- das Lernen in der Auseinandersetzung
mit Freunden. In der Regel erschließen zwei Schüler gemeinsam in
Partnerarbeit einen Text. Noch heute begegnet man in den Jeschiwot und in
den Einrichtungen des traditionellen Judentums dieser Lernform.
- das Lernen durch Disputation der
Schüler. Im Vordergrund stehen nicht psycho-soziale Aspekte des
Gruppenunterrichts. Hier geht es um die Chance des autonomen Lernens, im
harten Disput mit anderen Schülern eine Erfolgskontrolle zu erhalten und
darüber hinaus die Technik der Argumentation einzuüben.
- das Lernen durch "die Ruhe des
Geistes". D.h. Gelassenheit kennzeichnet diese Lernhaltung des
autonomen Lerners: Der gelehrte Lerner ist am gemessenen Gang zu erkennen.
Eile gilt in der jüdischen Tradtion als Kennzeichen von Kameltreibern,
"Schnorrern" und in Geschäft verstrickten Ungebildeten.
Das traditionelle
Toralernen "erste jüdische Aufgabe aller Zeiten" galt von jeher als
Notwendigkeit und rettende Tätigkeit in Zeiten von Beeinträchtigungen und
Bedrohungen des Judentums. So schreibt haRaw
S.R. Hirsch: "Was soll man tun? Lernen
und Lernen fördern und stützen, wo und wie man kann! Das
ist ein Feld, das überall in kleinem und großem Maßstabe bebaut werden kann,
das sind Bestrebungen, in denen uns niemand hindernd in den Weg zu treten
vermag, [...]. Lernen ! Lernen ! Wer noch Jude sein will, lerne, wer seine
Kinder noch zu Juden erziehen will, lasse sie `lernen´, wer etwas für das
Judentum tun will, lerne und helfe lernen, in jedem Hause, jedem Dorfe, jeder
Stadt, wo nur Juden atmen `lernen´" (1909/1912).
Insbesondere politische,
wirtschaftliche und soziale Ausgrenzungen sowie akute Gefährdungen der Juden
verhalfen dem jüdischen Lernen zu neuem Leben und gaben ihm Auftrieb:
Zahlreiche Berichte zu Zeiten des Nationalsozialismus und mitten im
Massenwahnsinn des zweiten Weltkriegs zeugen vom Lernen als geistigen
Widerstand.
Die historischen
Veränderungen während der Haskala, der jüdischen Aufklärung, bewirkten
schließlich die Transformation des ursprünglich torazentrierten jüdischen
Lernens in säkulare Lernhaltungen. In dieser Zeit entwickelt sich gerade in
Deutschland ein jüdisches, säkulares Schulwesen, das in der Regel unverbunden
neben dem traditionellen Lernen besteht.
Eine Arbeit von Dr.
Barbara Breidenbach
Lernen als Existenzform
Onlineversion
2000
Barbara Breidenbach:
Lernen jüdischer Indentität. Eine
schulbezogene Fallstudie
erschienen im Beltz - Deutscher Studien Verlag,
Weinheim 1999 |